15.11.2006
Der 11. September hat die Risiken für Unternehmen nicht erhöht. Nur die vielen Schwachstellen gezeigt.
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung - Ruhe ist immer ein Alarmsignal
Frankfurt.
Eine leere Parallelwelt, irgendwo in Frankfurt: Wenn am eigenen Schreibtisch nichts mehr geht, können die Mitarbeiter binnen weniger Stunden in Büros von Tenovis Databurg weiterarbeiten. Denn Banken und andere Unternehmen haben von der ehemaligen Bosch-Tochter rund 300 Notfallarbeitsplätze angemietet, deren Computerdaten immer auf dem neuesten Stand sind. Also auf dem Stand des „normalen“, ihres alltäglichen Büros. Dass ganze Unternehmen geräumt werden müssen, kommt immer mal wieder vor. Wenn beispielsweise ein Bagger die Stromzufuhr kappt und die Reparatur etwas länger dauert. Oder vor einem Jahr, als die Banker ihre Hochhäuser nach den Terrorangriffen des 11. September vorsichtshalber verlassen haben: Da war in den sonst so leeren Räumen Hochbetrieb.
Der Bombenanschlag auf das World Trade Center im Jahr 1993 war im übrigen überhaupt der Anlass für Tenovis Databurg, die in Amerika üblichen Ersatzarbeitsplätze auch in Deutschland anzubieten, erläutert der Vertriebsleiter Rainer Dahlke.
Gleichwohl sind die Notfallarbeitsplätze eigentlich nur ein Nebenprodukt: „ Die Datensicherheit ist wesentlich wichtiger.“ Wenn beispielsweise bei einer Bank der Zahlungsverkehr auch nur einen Tag lang lahm liegt, können die Schäden schon in die Millionen gehen. Deshalb garantiert Tenovis Databurg ihren Kunden die Datensicherheit, „hochverfügbare Rechenzentren“ nennt man das. Und das bedeutet im wesentlichen, dass man auch auf so etwas Banales wie die Stromzufuhr achten muss: Im Falle eines Falles werden bei Tenovis Databurg die Dieselmotoren angeworfen.
Geht es um Sicherheit in Unternehmen, ist der 11. September 2001 gleichwohl nur eines von vielen Beispielen, wogegen sich Unternehmen wappnen müssen. Berthold Schweigler, der Vorsitzende der „Arbeitsgemeinschaft für Sicherheit der Wirtschaft“, sieht deshalb in puncto Unternehmenssicherheit eigentlich keine große Veränderung nach den Terroranschlägen vom vergangenen Jahr: „Nur ist es vielen danach erst bewusst geworden, dass es überhaupt Sicherheitsvorkehrungen gibt.“ Die Unternehmen leben im großen und ganzen mit drei verschieden Risiken: Zufall, Irrtum und Absicht.
Zum Zufall gehören Naturkatastrophen. „Wenn plötzlich Bahnverbindungen und Telefonleitungen gekappt sind, kann das selbst nicht unmittelbar betroffene Unternehmen beeinflussen“, erinnert Schweigler an die Schäden und Folgen des Elbe-Hochwassers. „Das führt zu einem Dominoeffekt.“ Dessen Folgen im übrigen noch immer zu viele Unternehmen unterschätzen: “Selbst ein großer Automobilhersteller bekommt Probleme, wenn sein Zulieferer zum Beispiel die Sitze nicht pünktlich liefern kann.“
Zum Risiko „Irrtum“ zählt Schweigler Arbeitsunfälle oder technisches Versagen. Und schließlich kann immer noch die böse Absicht einen Betrieb ruinieren: Diebstahl, Spionage und Sabotage kämen in deutschen Unternehmen öfter vor, als es sich vor allem kleine und mittelgroße Betriebe klarmachten.
Wenn auch der 11. September für Unternehmen nichts Grundsätzliches an der Bedrohung und den Risiken verändert hat, beobachtet Schweigler gleichwohl, dass sich die Assekuranz neu positioniert hat: Die Versicherungen haben seiner Meinung nach ihre Bereitschaft aufgekündigt, gewisse Risiken überhaupt noch zu versichern. Und wenn sie es doch tun, sind sie viel teurer geworden.
Eine Folge des 11. September sei zudem, dass die deutsche Wirtschaft unter dem veränderten Konsumverhalten und den restriktiveren Investitionsentscheidungen leidet. Und dieser Effekt trifft die Wirtschaft sozusagen um die Ecke: „Die konjunkturelle Lage ist schlecht, da haben die Unternehmen kein Geld für die sicherheitstechnische Ausrüstung übrig.“ Deshalb sei nach dem 11. September in Deutschland ein Boom für die Sicherheitstechnik-Branche ausgeblieben. Nach Meinung Schweiglers sollten Unternehmen vom 11. September lernen, dass Ruhe immer trügerisch ist: „Wenn lange nichts passiert, tritt die Hoffnung an die Stelle der Schadenskalkulation“, beobachtet der Sicherheitsfachmann. Dabei sollten Unternehmen gerade dann, wenn nichts passiert, das Krisenmanagement ausbauen: „Es amüsiert mich jedes Mal, wenn nach einem Anschlag der Ruf nach verstärkten Sicherheitsvorkehrungen laut wird“, sagt Schweigler. „Die müsste man doch dann verstärken, wenn lange nichts passiert ist. Denn dann ist die Wahrscheinlichkeit doch viel höher, dass etwas Schlimmes kommt.“