15.06.2011
Flugplatz Sperenberg, knappe 60 Kilometer südlich von Berlin. 25 Quadratkilometer Wald und Wiese, zerfallene Militärbaracken, die von Wildpflanzen bewuchert werden. Ins sandige Erdreich eingelassene Betonplatten markieren einen unebenen Weg, der nur Ortskundige zum Flugfeld dieses ehemaligen Flugplatzes der russischen Armee führt. Aber warum sollte es überhaupt jemanden hierhin verschlagen? Die annähernd 80 Besucher, die sich an diesem sonnigen Juni-Vormittag von Berlin aus hier ins brandenburgische „Niemandsland“ haben bringen lassen, wissen warum. Schließlich hatten sie am Vortag und noch eine gute Stunde vor Fahrtantritt nach Sperenberg bei der Fachtagung der Sicherheitsspezialisten der HAVERKAMP GmbH bereits eine Menge über Explosionen, deren Konsequenzen und effektive Schutzmöglichkeiten erfahren.
HAVERKAMP-Fachtagung: Explosionsartig in die Praxis
Gleichwohl zollen die Anwesenden, vornehmlich Sicherheitschefs von Konzernen sowie Sicherheitsberater und Journalisten, dem, was sie noch erwarten soll, eine Menge Respekt. So viel, dass sie den Anweisungen der Sprengstoff-Experten der „Bundesanstalt für Materialforschung und –prüfung“, das hier auf dem ehemaligen Flugplatzgelände eine Freifeldversuchsanlage für Explosivstoffe betreibt, ohne jegliches Zögern direkt folgen. 300 Meter Abstand, Stöpsel tief in die Ohrmuschel. Keine Widerrede. Mit festem Blick auf den Aufbau für diesen Freifeldtest fällt es den Sicherheitsexpertinnen und -experten aus Deutschland, der Schweiz, den Niederlanden und Saudi-Arabien allerdings alles andere als schwer „folgsam“ zu sein: 100 Kilogramm TNT werden gezündet. Die HAVERKAMP-Fachtagung unter dem Titel „Explosionen – Konsequenzen und Schutz“, zu der das renommierte Sicherheitstechnologie-Unternehmen aus dem westfälischen Münster jüngst in die Bundeshauptstadt Berlin eingeladen hatte, begibt sich damit aus der Theorie in die Praxis. Buchstäblich explosionsartig.
Die Teilnehmer der Fachtagung haben zu diesem Zeitpunkt die Thesen der international anerkannten Experten, die HAVERKAMP als Referenten gewinnen konnte, noch allzu gut im Ohr. Mit „schieben und schlagen“, hatte Dr. John Wyatt, ehemaliger Lieutenant Colonel der britischen Streitkräfte und Spezialist für die Prävention terroristischer Bombenanschläge, äußerst anschaulich die unbändigen Druck- und Sogphasen nach einer Detonation beschrieben. Dr. Wyatt („Ich bin der, der am scharfen Ende steht“), Technischer Direktor der SDS-Group, fesselte förmlich die Tagungsteilnehmer mit seinem Vortrag. Eindrucksvoll: Seine Erfahrung. Der Brite hatte unter anderem das Lockerbie-Attentat, bei dem 1988 ein amerikanisches Flugzeug gesprengt wurde und über der schottischen Kleinstadt abstürzte, untersucht.
Ebenso wie Dr. Wyatt plädierte auch Prof. Dr. Norbert Gebbeken, Professor für Baustatik an der Universität der Bundeswehr in München, Mitglied des Kuratoriums des Fraunhofer „Ernst-Mach“-Institutes sowie Gutachter für Forschungs- und Technologieprojekte bei der Europäischen Kommission in Brüssel, gegenüber den Fachtagungsteilnehmern für verstärkten baulichen Schutz vor Explosionsfolgen. „Auch wenn die Architekten uns nicht so gerne sehen“, schmunzelte Gebbeken: „Wir können heute bereits viel machen – und das sind nicht nur die ganz teuren Lösungen.“ Anstelle von „starren Materialien“, so Prof. Dr. Gebbeken, rückten mehr und mehr flexible Folien, die wie Membrane wirken in den Focus.
Deutlich untermauert wurden die Plädoyers für verstärkten Schutz vor den Folgen von Explosionswirkungen von Dr. Markus Winter, Facharzt für Anästhesie und Notfallmedizin. Der Mediziner ist Chefarzt im Kreiskrankenhauses Blaubeuren und war 20 Jahre lang bei der Bundeswehr beschäftigt, dort als Experte für Explosionstraumata. Er beschrieb die Vorgehensweise von Ärzte- und Helferteams nach Attentaten sowie grausamste Verletzungen der Haut, Lungen und Trommelfelle. Seine Erfahrung - „…und dieser Schlüssel trifft nahezu immer zu“, so Dr. med. Winter: Annähernd 40 Prozent der Menschen, die sich in unmittelbarer Nähe einer Detonation befinden, werden getötet oder schwerst verletzt.
Inwieweit die physikalische Forschung Explosionen simulieren und damit berechnen kann, erläutere Dipl. Ing. Simon Vetter, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer Institut für Kurzzeitdynamik, „Ernst-Mach“-Insititut, im süddeutschen Ettringen-Kirchen, den Teilnehmern der Fachtagung. Sein Institut testete unter anderem die sprengwirkungshemmende Hochleistungssicherheitsfolie PROFILON® ER1 von HAVERKAMP. Dies ist die einzige in Deutschland hergestellte Hochleistungssicherheitsfolie gemäß DIN EN 13541 ER1 NS und die einzige Sicherheitsfolie weltweit, die diesen Test erfolgreich bestanden hat.
Unterstützung im Umgang mit Fachbegriffen hatte unterdessen Markus Piendl, Reserveoffizier der Bundeswehr, akkreditierter Fachreferent für zivile, polizeiliche und militärische Dienststellen/Spezialeinheiten sowie Projektmanager für Perimetersicherung der HAVERKAMP GmbH, den Fachtagungsteilnehmern gegeben. Er grenzte sogenannte „Unkonventionelle Spreng- und/oder Brandvorrichtungen“ (USBV) von konventionellen Waffen, wie Handgranaten, begrifflich und technisch ab, erläuterte, welche Möglichkeiten es gibt, von Attentätern selbst gebaute USBV aufspüren zu können, und warnte gleichfalls: „Eine USBV ist eigentlich nicht zu erkennen.“
Auf dem ehemaligen Flugplatz Sperenberg ist das anders. Die anderthalb Meter hohe, mattgrüne Kunststofftone mit einer Durchmesser von einem halben Meter ist deutlich zu erkennen. Auch aus einem Abstand von 300 Metern. In ihr steckt, in Galertmasse gelagert, der Sprengstoff. 100 Kilogramm TNT – deutlich, ganz deutlich weniger genügte schon für ein Attentat mit immensen Folgen. Die HAVERKAMP GmbH will es aber ganz genau wissen. „Terroristen halten sich ja auch nicht an Normen“, bemerkt Marieluise Henneberg, Exportleiterin bei HAVERKAMP.
100 Kilogramm TNT. Ulrich Haverkamp, Bernhard Haverkamp und Ulrich Weynell aus der Geschäftsleitung des Sicherheitstechnologie-Unternehmens aus Münster, blicken gespannt, durchaus auch angespannt, auf den Versuchsaufbau. Immerhin setzen sie hier an diesem Vormittag unter anderem ihre Hochleistungsprodukte, die sprengwirkungshemmende Sicherheitsfolie PROFILON® ER1 sowie das sprengwirkungshemmende Wendefenster BLASTWIN® einem schonungslosen Härtetest vor berufenem Fachpublikum aus. In zwei fest verankerten Containern, in 25 und 38 Metern Abstand zur Detonation, sind die von HAVERKAMP spezialgesicherten Fenster installiert. „Die Randanbindung der Folie zum Fensterrahmen ist extrem wichtig“, erläutert Bernhard Haverkamp. „80 Prozent aller tödlichen und schweren Verletzungen nach einer Explosion sind auf Glassplitterflug zurückzuführen“, zitiert er zudem eine Studie der US-Army.
Und dass diese Zahl zutreffen dürfte, zeigt sich nach der Detonation. Die ungesicherten sowie die bewusst für diesen Test unzureichend gesicherten Glasscheiben sind zerborsten, die Glassplitter aus diesen Fenstern im weiten Umfeld des Versuchsaufbaus verstreut. Ulrich Haverkamp, Bernhard Haverkamp und Ulrich Weynell lächeln, als die Experten der „Bundesanstalt für Materialforschung und –prüfung“ akribisch dokumentieren, das hingegen PROFILON® ER1 und BLASTWIN® buchstäblich gehalten haben, was sie versprechen.
Die Teilnehmer der HAVERKAMP-Fachtagung, die nahezu wortlos die 300 Meter aus der zuvor sicheren Zone zurück zum Detonationsort zurücklegen, wissen spätestens jetzt, dass die von ihnen zuvor verfolgten Fachvorträge äußerst praxisnah waren. Sie wissen, warum es sie hierhin geführt hat.
Autor: Matthias Cieslak | Silke Gärtner