01.07.2008
Keine leichte Entscheidung, die Dr. John Wyatt den „Sicherheitsteams“ auferlegt. „Entscheiden Sie selbst, welche Gefährdung Sie zulassen“, gibt der renommierte britische Experte für die Prävention von Bombenanschlägen den Tagungsteilnehmern, als sie sich in kleinen Gruppen der Aufgabe stellen, mit auf den Weg. Dieser Weg beim internationalen Fachkongress „Explosionen – Konsequenzen und Schutz“ des deutschen Sicherheitstechnologie-Unternehmens HAVERKAMP führt mitten in die Praxis.
Wie ein Tagungshotel sich auf spontane Präsidenten einstellt: 2. HAVERKAMP-Fachtagung zum Schutz vor Sprengstoffanschlägen
Die Aufgabenstellung für die Sicherheitsverantwortlichen großer internationaler Unternehmen, für die Spezialisten der Landeskriminalämter sowie des Bundeskriminalamtes, für die Sicherheitsberater und für Fachjournalisten: Das Arosa-Hotelressort im markbrandenburgischen Bad Saarow schnell und effizient so zu sichern, dass der US-amerikanische Präsident bei einem kurzfristigen Spontanbesuch geschützt ist gegen mögliche 100-Kilogramm-ANFO-Autobomben sowie gegen zehn Kilogramm RDX-Plastiksprengstoff in einem vor dem Tagungshotel deponierten Rucksack. Und obwohl es nur eine angenommene Situation ist, machen sich die 100 Fachtagungsteilnehmer derart konzentriert an zuvor von Dr. John Wyatt vermittelte Sicherheitsabstandsberechnungen, an die Planung nachträglicher Gebäudeaußenhaut-Sicherungen, an Autosperren-Kalkulationen und an die Einteilung der Sicherheitskräfte, als stünde der Präsident in wenigen Stunden tatsächlich in ihrem Tagungshotel.
„Der internationale Terrorismus ist die größte Herausforderung überhaupt für die Sicherheitsbehörden“, gibt nur wenige Stunden nach dieser Praxisübung der Präsident des Bundeskriminalamtes, Jörg Ziercke, im Rahmen der HAVERKAMP-Fachtagung seine Einschätzung zur Sicherheitslage in Deutschland ab. Deutschland sei von der Bedrohung keineswegs ausgenommen, betont Ziercke. Allein seit dem Jahr 2000 haben die Ermittlungsbehörden in Deutschland sieben konkrete Anschläge verhindern können, so Ziercke weiter. Den Teilnehmern der HAVERKAMP-Fachtagung gibt der BKA-Chef einen tiefen Einblick in die aktuelle Lage, in der „immer mehr Prävention und Aufklärung“ gefragt sei: „Die klassische Trennung zwischen innerer und äußerer Sicherheit verschwimmt.“
„Explosion – Konsequenzen und Schutz“ – ein weiterer Praxisteil: Respektvoll schweigend blicken die Fachtagungsteilnehmer auf dem ehemaligen Militärflugplatz Sperenberg, mitten im brandenburgischen „Niemandsland“, auf einen gut ein Meter hohen und 40 Zentimeter Durchmesser fassenden Holzkegel. Dessen Inhalt: 100 Kilogramm TNT, das die HAVERKAMP GmbH durch das Bundesamt für Materialprüfung, die dieses Sprengfeld als Versuchsgelände betreibt, zünden lassen will.
Bereits in nur 25 Meter Abstand von dem Sprengstoff hat das Unternehmen aus dem westfälischen Münster den ersten von insgesamt drei Versuchsaufbauten eingerichtet - einen Container mit drei Fenstern: Das spezielle sprenghemmende Wendefenster BLASTWIN® aus Aluminium, das der Druckwelle sowohl im geöffneten als auch im geschlossenen Zustand stand hält. Im geöffneten Zustand schließt das Fenster durch die Druckwelle und lässt den gefährlichen Überdruck nicht in den Raum.
Daneben ein sprengwirkungshemmendes Holzfenster in der Widerstandsklasse WK3, welches die Druckwelle vollständig abfängt und dessen Fensterscheibe, ein spezielles sprenghemmendes Glas im ISO Aufbau, keinerlei Splitterabgang in den Raum zulässt.
Ebenfalls in diesem 25-Meter-Abstand: Der von der Rauminnenseite speziell montierte Vorsatzrahmen PROSECURAL® ANTIBLAST aus extrem schlagfesten und druckwellenresistentem Kunststoff. PROSECURAL® ANTIBLAST fängt die Druckwelle und die gefährlichen Glassplitter vollständig ab. Der Rahmen selbst besteht aus Metall und wird mit Nieten und Schrauben auf den Ursprungsrahmen aufgeschraubt.
Wenige Meter dahinter, in nur 40 Metern Abstand vom Explosionsherd, sind als Versuchsaufbau vier weitere speziell von HAVERKAMP ausgestattete Fenster in einen zweiten Container eingebaut: Zwei Fenster sind ausgestattet mit der vierlagigen PROFILON® ER1, allerdings mit unterschiedlichen Randanbindungen – im einen Fall über sprengwirkungshemmendes Silikon, im anderen über eine additive Befestigungsleiste. Beide Lösungen erzielen GSA Level 2. Die Druckwelle wird abgehalten. Es gelangen keine Splitter in den Raum.
Mit einer ganz neuen, eigenen Entwicklung, einem flüssigen Splitterschutzlack, hat HAVERKAMP das weitere Fenster in diesem Versuchsaufbau beschichtet. OPALFILM® liquid film mit integriertem Glasfasergewebe, ebenfalls GSA Level 2, kommt in solchen Bereichen zum Einsatz, in denen keine Sicherheitsfolie eingesetzt werden kann, beispielsweise in explosionsgefährdeten Maschinenhallen, in denen strukturierte Fenstergläser verbaut sind.
Um auch vorzuführen, was nicht funktioniert: Das nächste Fenster im Versuchsaufbau ist bei der Detonation ausgestattet mit einer 115 µ starken, reinen Splitterschutzfolie, die mit einer additiven Befestigungsleiste an den Rand angebunden ist, um eine Ablösung der Folie vom Rand zu vermeiden. Schon vorher ist klar: Diese Folie wird dem Versuch nicht standhalten und wird von der Druckwelle völlig zerstört werden. Eine Schutzwirkung ist nicht gegeben. Gefährliche Glassplitter dringen weit ins Rauminnere ein und würden zu schwersten Verletzungen bei den Menschen im Raum führen. Selbst eine optimale Randanbindung verhindert nicht, dass die Druckwelle ins Rauminnere dringt, da die Folie weder über genügend Stärke verfügt, noch über eine ausreichende Elastizität, die nur durch ein mehrlagiges Laminat, wie PROFILON® ER1 oder AXA1 erzeugt werden kann.
Ein weiterer Versuchsaufbau an diesem Tag: In ebenfalls nur 25 Meter Abstand von den 100 Kilogramm TNT hat HAVERKAMP einen speziellen Betoncontainer gesetzt, der als Wach- und Gewahrsamscontainer auf Sprengwirkungs- und Durchschusshemmung entwickelt worden ist. Zusätzlich ist an diesem Container das sprengwirkungs- und durchschusshemmende Vorsatzglas BLASTSHIELD® (bis BR6 und Sniper) auf elastisch gelagerten Puffern von außen vor ein Fenster angebracht worden. Die Druckwelle zerstört die Scheibe nicht, die wiederum das dahinter liegende Fenster schützt. Es gelangen weder Splitter noch die Druckwelle in den Raum. Auch mit dieser Lösung wird GSA Level 2 erreicht.
Der Aufforderung der Sprengmeister, sich nunmehr auf mindestens 300 Meter Abstand zu entfernen, folgen die 100 gespannten Tagungsteilnehmer an diesem sonnigen Vormittag ohne zu zögern. 300 Meter: Immerhin noch so nahe, um in der Brust deutlich die Druckwelle der Detonation zu spüren. Gleißend hellrot steigt ein Feuerball etwa 50 Meter um den einstigen Holzkegel herum auf. Tiefes Durchatmen. Aber nicht lange. Bis die Sprengspezialisten des Bundesamtes für Materialprüfung den Nahbereich der Detonation vollends gesichert haben, übernimmt Dr. John Wyatt. Ende der 80-er Jahre hatte er als Offizier der britischen Streitkräfte unter anderem das Lockerbie-Attentat untersucht. Auf dem Sprengplatz heute führt er unter sowohl staunenden als auch überraschten Blicken die Wirkungsweise eigentlich kleiner Sprengkörper, unter anderem Briefbomben vor. Live und so direkt, dass den Fachtagungsteilnehmern die Ausführungen der Referenten des Vortages erneut anschaulich vor Augen geführt wird.
Eingeladen hatte HAVERKAMP unter anderem die Diplom-Ingenieurin Caroline Kranzer vom Ernst-Mach-Institut, dem Fraunhofer-Institut für Kurzzeitdynamik. Sie erläuterte am ersten Tagungstag, wie Explosionen im sogenannten Stoßrohr simuliert werden können und welche Berechnungsformeln sowie Normen sich daraus ergeben. Sicherheitsberater Steve Holland berichtete als weiterer Fachreferent über den Schutz von Fahrzeugen gegen Sprengstoffanschläge und führte konkrete Praxisbeispiele auf. Mit der Sicherheit und Sicherung von Gebäuden beschäftigte sich bei der HAVERKAMP-Fachtagung Prof. Dr. Norbert Gebbeken, Professor für Baustatik an der Universität der Bundeswehr in München. Er veranschaulichte, dass, obwohl die Druckwelle einer Detonation das bis zu 7000fache der Betonbelastbarkeit überschreiten könne, es sehr wohl bauliche Möglichkeiten gibt, Gebäude zu schützen.
Marieluise Henneberg, Vertriebsleiterin des Unternehmensbereiches Sicherheitstechnik von HAVERKAMP, stellte den Kongressteilnehmern Lösungen vor – insbesondere Lösungen für die nachträgliche bauliche Sicherung von Gebäuden gegen Explosionsfolgen, Einbrüchen und ungewollten Übergriffen. Henneberg: „Unsere PROFILON® ER1 ist die einzige sprengwirkungshemmende Sicherheitsfolie, die nach der Europäischen Norm DIN EN 13541 NS erfolgreich getestet wurde. Auch die Tests, die wir hier während der Fachtagung durchführen, entsprechen dem amerikanisch/englischen GSA Level 2: Kein Splitterabgang, kein Druck im Raum.“
Zwei Tage Intensivbeschäftigung mit Explosionen, den Konsequenzen daraus und den Schutzmöglichkeiten: Bernhard Haverkamp, Mitglied der Geschäftsleitung der HAVERKAMP GmbH, Bernward Altmeppen und Ulrich Weynell, Geschäftsführer von HAVERKAMP, sowie Marieluise Henneberg äußern sich nach Tagungsschluss zufrieden über den Verlauf dieser inzwischen zweiten HAVERKAMP-Fachtagung zu diesem Thema. Und das nicht nur, weil die HAVERKAMP-Spezialprodukte beim ungeschönten Praxistest den 100 Kilogramm TNT stand gehalten hatten. „Es gibt noch mehr Gründe, zufrieden zu sein“, lächelt Marieluise Henneberg: „Immerhin hätte uns auch der amerikanische Präsident hier besuchen können – und wäre bestens gesichert gewesen.“
Autor: Matthias Cieslak | Silke Gärtner